HÄSCHEN, SEXY SPÄßCHEN

"Sich drückende Hasen machen sich nahezu unsichtbar."

 

Der Feldhase: hemdsärmelig und triebhaft

Verglichen mit dem Hauskaninchen ist der Feldhase ein rauher Geselle. Mancher wird über dessen Größe erstaunt sein, denn ausgewachsen entwickelt er eine kräftige Statur von bis zu 70 cm Länge (ausgestreckt) und kann ein Gewicht bis zu 7 kg erreichen. Der Feldhase ist ein Meister der Tarnung. Sein ganzes Wesen ist darauf ausgerichtet, möglichst unauffällig zu sein, gut wahrnehmen zu können und schnell und geschickt zu fliehen. Er ist im Grunde kein schönes Tier. Sein Körper ist sehnig, seine Proportionen wegen der kurzen Vorderläufe seltsam, das drahtige Fell an der Oberseite lädt weniger als das des Kaninchens zum Streicheln ein, und das typische Hasengebiß und die Scharte gelten auch nicht als attraktiv. Seine Fellfarben sind Tarnfarben, und sein Auftreten ist so lautlos wie möglich.

Er ist ein Wesen, das da ist, und gleichzeitig auch nicht. Er hat das NICHT-DA-SEIN für sich perfektioniert. Nur während der Paarungszeit lässt er das angeborene Diktat der Zurückhaltung ausser Acht. Anders als sonst sucht der Hase nun die Nähe seiner Artgenossen, und seine Friedfertigkeit ist einer hitzigen Kampflust gewichen. Dieser Bruch mit der festgelegten Rolle hat den Menschen schon immer imponiert und es wundert nicht, dass deswegen sein Paarungsverhalten besonders in Erinnerung bleibt.

 

Der Stallhase: supersüß und sooo menschlich...

Um sich beim Menschen einzuschmeicheln, sollte ein Tier in gewisser Weise aussehen wie ein Mensch. Doch um in der Rangliste ganz nach oben zu kommen, muß es einem Kleinkind gleichen. (Midas Dekkers, Geliebtes Tier, 1992)

Das Hauskaninchen ist der Inbegriff dessen, was wir unter einem niedlichen Hasen verstehen. Es ist im Schnitt kleiner als der Feldhase. Sein Fell ist viel weicher und auch auffälliger in der Farbigkeit. Weil sein Äußeres in das Kindchenschema passt, vermag es zudem das angeborene Fürsorgeverhalten des Menschen zu aktivieren.

Nach Konrad Lorenz bezeichnet das Kindchenschema die bei Menschen und bei vielen höheren Tierarten vorkommenden kindlichen Proportionen, die als Schlüsselreiz wirken und Fürsorgeverhalten auslösen. Folgende äußere Merkmale sind als allgemeine Schlüsselreize des Kindchenschemas definiert:

  • großer Kopf
  • große Stirngregion
  • große Augen, die tief bis unter der Mitte des Gesamtschädels liegen
  • kleine Nase
  • kleines Kinn
  • rundliche Wangen
  • weich-elastische Oberflächenbeschaffenheit
  • kurze, dicke Extremitäten
  • rundliche Körperformen
  • ungeschicktes, tolpatschiges Verhalten

Das Kaninchen weist viele dieser Merkmale auf. In seinem Fall kommen die großen Augen, kleine Nase, kleines Kinn, die Pausbacken, eine besonders weiche Oberflächenbeschaffenheit und ein auf rundlichen Formen basierender Körperbau mit verhältnismäßig kurzen Beinen zum Tragen. So ist das Kaninchen rein äußerlich ein praktisch Kind gebliebener Hase und das löst Emotionen aus.

Aber die Idee von kindlicher Unschuld, Harmlosigkeit und Reinheit kontrastiert letztendlich mit der ausgeprägten Rammelfreude und Potenz, für die auch das Kaninchen bekannt ist.

Letztendlich ergibt sich aus den Gegensätzen des einerseits Niedlichen und andererseits Triebhaften eine Projektionsfläche zwischen Heiligencharme und Sexbesessenheit, die einen wesentlichen Teil unseres Hasenbildes bestimmt.