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Das Vertrauen eines Hasen zu gewinnen ist etwas Besonderes.
Sein undurchschaubares, aber offenbar freundliches Wesen
nämlich macht die Menschen so neugierig, dass sie seine Nähe
herbeisehnen und der Hase bei ihnen ein allzeit willkommener Gast wäre.
Weil er aber widerspenstig ist und von Natur aus ungesellig,
findet des Menschen Einladung beim Hasen kein Gehör. Also bleibt der Mensch allein daheim und tut nichts anderes, als lediglich davon zu träumen, den Hasen zum Freund zu haben. Hasenbart
Rammeln, Rennen, Rüben fressen. Das scheint lange Zeit das Einzige gewesen zu sein, was man über die Hasen zu berichten wußte. Mehr über sie herauszubekommen, war auch nicht unbedingt nötig. Denn man hatte sich bereits früh damit beholfen, den Mangel an besserem Wissen durch allerlei zurechtfabulierte Platzhalter zu ersetzen.
Die Konstruktion von Hasenmodellen, die menschlichen Rollenmustern folgen, ist dabei keinesfalls eine Notlösung. Menschen finden in den Tieren allzu gern partielle Spiegelbilder ihres Selbst. Als Gegenüber sind am besten solche Wesen geeignet, die zwar die Fantasie anregen, über deren wahre Natur aber so wenig bekannt ist, dass man ihnen problemlos jede Rolle überstülpen kann, ohne dass es zum Konflikt mit einer wahren Identität käme.
Das Prinzip ist simpel: Wer nichts von sich preis gibt, wirkt geheimnisvoll. Geheimnis weckt unsere Neugier. Wo immer wir nichts in Erfahrung bringen können über jemanden, der unsere Neugier geweckt hat, beginnen wir zu spekulieren.
Der Hase ist genau so ein geheimnisvoller Kandidat, über den viel spekuliert wird. Er bietet eine ideale Projektionsfläche. Jede Rolle, die ihm zugeschrieben wird, scheint dem Hasen wie auf den Leib geschneidert. Ob göttlich oder dämonisch, unschuldig oder brutal, dumm oder schlau, bourgeois oder proletarisch, in all diese Charaktermodelle fügt sich der Hase in der Folklore problemlos ein. Unzählige Geschichten, Lieder und Mythen aus aller Welt zeugen davon.
Als Beispiel sei hier Fritz Koch-Gothas Häschenschule (1924) genannt, ein Klassiker der Kinderbuchliteratur, den schon unsere Großeltern kannten. Koch-Gothas Hasen sind wunderbar beobachtet und zeichnerisch beeindruckend wiedergegeben. Nicht nur die Darstellung, sondern auch der Text zitiert Motive aus der Welt der Hasen:
"Kinder", spricht die Mutter Hase,
"putzt euch noch einmal die Nase
mit dem Kohlblatt -Taschentuch!
Nehmt die Tafel, Stift und Buch!
Tunkt euch eure Schwämmchen ein!
Sind denn eure Pfötchen rein?"
"Ja!" - "Nun marsch, zur Schule gehn!"
"Mütterchen, auf Wiedersehn!"
Gleichzeitig tragen sie menschliche Kleidung und weisen auch sonst in ihrem Verhalten rein menschliche Züge auf. Wie in den meisten Hasengeschichten funktionieren die Hasen hier lediglich als anrührende Hülse für ein erzählerisches Lehrstück aus dem Menschenalltag.
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